Vor 100 Jahren ging der 1. Weltkrieg auch in Steinfeld zu Ende

Eine Reise in die Vergangenheit
(Bericht: Martin Loschert, Steinfeld; Bilder: Martin Loschert und It.Beschreibung)

Auf der Liste der Gefallenen des 1. Weltkriegs am Ehrenmal vor dem Rathaus in Steinfeld steht sein Name schon seit Jahrzehnten. Von meinem Vater wusste ich, dass es sich um seinen Onkel handelte. Doch keiner aus meiner Familie kannte den Ort, wo er gefallen und bestattet war. Meine Anfrage beim Volksbund Deutsche Kriegsfürsorge wurde zügig beantwortet. Mein Großonkel Franz Loschert war Soldat im 1. Weltkrieg und ist auf dem Kriegsgräberfriedhof in Vouziers in den französischen Ardennen, Block 3, Grab 120 bestattet. Zusammen mit meiner Frau machte ich mich auf den Weg, sein Grab exakt 100 Jahre nach seinem Tod am 3. Oktober zu besuchen.

Nach meiner Rückkehr will ich mehr über das Schicksal der Soldaten aus Steinfeld erfahren, die in diesen Krieg zogen und von denen viele nicht mehr zurückkehrten. Ich nehme mir den Bericht eines Steinfelders vor, der im August 1914 den Kriegsausbruch in seinem Heimatdorf miterlebt und aufgeschrieben hatte. Das Manuskript ist im Besitz von Claudia Dittrich.

„Wie ein Blitzschlag hatte die Kriegserklärung und mehr noch die Mobilmachung In unserem Dorf gezündet. Am Abend des 1. August trafen die vom Felde heimkehrenden Landleute das verhängnisvolle Plakat. Die erste Empfindung mochte ein tiefes Erschrecken gewesen sein. Sprachlos standen sie da und lasen. Es kam zu plötzlich. Sie konnten es nicht glauben. Doch da kam auch schon der Polizeidiener und machte das Mobilmachungstelegramm bekannt. Allmählich löste sich der Bann. Allenthalben bildeten sich plaudernde Gruppen und bis tief in die Nacht hinein stand man auf der Straße und besprach das große Ereignis. Die Jugend hatte bereits der Soldatengeist erfasst. Allenthalben erschollen die alten, jetzt so wahren Soldatenlieder vom Scheiden und Sterben. Aus überquellender Soldatenbrust erscholl es: Und sehen wir einander niemals wieder, so hoffen wir auf jenes bessre Land“. So beginnt der Bericht des namentlich nicht bekannten Zeitzeugen aus Steinfeld.

Am 11.11.1918, also Sonntag vor genau 100 Jahren, endete mit dem Waffenstillstand der 1. Weltkrieg. Historiker bezeichnen ihn als „die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“. Er forderte auch unter den jungen Männern von Steinfeld einen hohen Blutzoll und kostete meinem Großonkel ebenfalls das Leben.

Der Zeitzeuge beschreibt in pathetischen Worten, wie die ersten jungen Männer aus Steinfeld am 3. August 1914 in den Krieg zogen. „Schon am 2. Mobilmachungstag (3. August 1914) früh um 4 Uhr rückten die ersten Reservisten ab. Hier und da stand jemand unter der Haustür und winkte den Scheidenden einen letzten Gruß zu. Aber so oft der Wagen hielt, um einen weiteren Kameraden aufzunehmen, gab es ein rasches Abschiednehmen und das Herz drohte dem alten Vater, der greisen Mutter zu brechen. Um sich selbst ihre mulmige Stimmung zu verscheuchen, stimmten alsbald unsere Krieger ein altbekanntes Soldatenlied an...“.

Ein Jahr später wurde auch der 19-jährige Metzgergeselle Franz Loschert an die Westfront geschickt. Er war das jüngste Kind des Metzgermeisters und Landwirts Georg Hugo Loschert und sollte als einer der letzten Steinfelder wenige Wochen vor Kriegsende am 3. Oktober 1918 bei Kämpfen in den Ardennen sein Leben verlieren. Er zählt damit zu den 48 jungen Männern von Steinfeld, die im 1. Weltkrieg auf den Schlachtfeldern in Europa den Tod fanden. Der Großteil dieser Gefallenen liegt verstreut auf den vielen Kriegsgräberfriedhöfen in Frankreich, Belgien oder Osteuropa. Ihre Namen kann man heute noch auf der Gedenktafel am Ehrenmal vor dem Rathaus der Gemeinde Steinfeld nachlesen — unter der Überschrift „Unseren tapferen Helden“. Aber sind sie, die in einen unsäglichen Krieg „für Kaiser und Vaterland“ in den Tod geschickt und fern der Heimat bestattet wurden, nicht längst vergessen?

Beim Besuch des Grabes meines Großonkels in den französischen Ardennen kommt mir augenblicklich dieser Gedanke in den Sinn. Auf dem Kriegsgräberfriedhof in Vouziers, wo über 5000 deutsche Kriegstote des 1. Weltkriegs ruhen, sind die Blumen und Kerzen, die wir an seinem Grabkreuz aufstellen, die einzigen, die auf dem größen Friedhofsareal zu finden sind. Bei unserem Friedhofsbesuch stehen genau 100 Jahre nach dem Tod meines Großonkels wohl zum ersten Mal überhaupt Familienangehörige an seinem Grab. Wie viele andere Soldatengräber wurden und werden niemals besucht?

Wir fahren mit dem tröstlichen Gedanken nach Hause, dass sich der Volksbund um die Pflege der Gräber kümmert. Vor allem aber würden wir uns wünschen, dass der Besuch eines Kriegsgräberfriedhofs zum Pflichtprogramm für unsere Schüler wird, als Mahnung zum Einsatz für Frieden und Völkerverständigung in einer Zeit, in der so unbegreifliche Rufe nach „Deutschland zuerst“ wieder laut werden.

Vielfältiges Leid hinter dürren Zahlen

Die Gedenktafel am Ehrenmal am Rathaus in Steinfeld listet die Gefallenen mit Namen, Geburts- und Sterbedatum auf. Beim Studium des Zeitzeugenberichts und bei Nachforschungen im Archiv und im Internet kann man das vielfältige Leid der betroffenen Familien erahnen, das hinter den dürren Zahlen steckt.

Schon am Ende des ersten Kriegsmonats sind innerhalb von drei Tagen drei junge Männer aus Steinfeld an der Westfront gefallen. Der Zeitzeuge nennt „Josef Schuhmann, der schon in den ersten Kriegstagen in die Front abging und seine junge Frau mit ihren beiden Söhnchen von 1 ½ Jahren und ein Töchterchen von einem Monat zurückließ. Josef Haas hinterließ seine alten Eltern, denen er schon viele Jahre die Sorgen um das Leben abgenommen hatte. Ein dritter, Franz Scheiner, ließ eine viel geprüfte Mutter, zwei Schwestern und einen jüngeren Bruder zurück. Schon lange ersetzte er seinen Angehörigen den Familienvater. 1913, am 2. November waren durch einen in der Nachbarschaft ausgebrochenen Brand ihre ganzen Gebäulichkeiten bis auf das Wohnhaus niedergebrannt. Nach einem Jahr der kummervollsten Arbeit sollten eben die ersten Garben in die neu aufgeführte Scheune eingebracht werden, da rief das Vaterland.“

Aus manchen Familien mussten zwei, drei oder gar vier Brüder in den Krieg ziehen. Franz, Michael, Georg und Josef Schuhmann waren die Söhne der Bauersleute Michael und Katharina Schuhmann, Hausnummer 36a. Zwei von ihnen kehrten in die Heimat zurück, die beiden jüngeren Brüder Josef und Karl starben im Alter von 20 und 22 Jahren.

Michael und Regina Seufert hatten 13 Kinder, von denen fünf schon als Kleinkinder gestorben waren. Von ihren sechs Söhnen wurden vier zu den Waffen gerufen, mit Philipp und Franz kamen zwei in Frankreich ums Leben. Der Dorfschullehrer Dominik Hofmann musste drei Söhne in den Krieg ziehen lassen, der älteste, Philipp Hofmann, starb bei der Schlacht um Ypern in Belgien.

Emil Haas war der jüngste aller Gefallenen aus Steinfeld; er wurde nur 19 Jahre alt, als er am 27.12.1916 bei Gefechten in Rumänien starb. Insgesamt 11 Soldaten waren bei ihrem Tod erst 20 oder 21 Jahre alt.

Gräbersuche im Internet

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge bietet den Angehörigen eine kostenlose Online-Gräbersuche an. Die Internetadressen lauten www.volksbund.de und www.graebersuche-online.de.

Auf dem Onlineformular sind die persönlichen. Daten des gefallenen Angehörigen einzugeben. Alternativ können auf dem Kontaktformular ihre Wünsche eingegeben werden.

Musterungsbild 1915 (von Ernst Scheiner)
Musterungsbild 1915 (von Ernst Scheiner)
Links außen sitzt Franz Loschert (gef. 3.10.1918) im Kreise seiner Schulkameraden bei der Musterung des Geburtsjahrgangs 1896. Er fällt bei Kämpfen in den Ardennen. Valentin Klüpfel (rechts außen) fiel bereits am 16.7.1916. in Frankreich, ebenso wie sein älterer Bruder Konrad ein Jahr zuvor.
Diese jungen Männer des Geburtsjahrgangs 1898 sind bei der Musterung im Oktober 1916 gerade 18 Jahre alt. Ihr Gesichtsausdruck lässt nach zwei Kriegsjahren kaum noch Begeisterung für den bevorstehenden Kriegseinsatz erkennen. Drei der hier abgebildeten Schulkameraden fallen zwei Jahre später in den letzten Kriegsmonaten 1918.
Musterung 1976
Musterung 1976
Obere Reihe von links: August Siegler, Georg Herrmann, Johann Beild (gestorben am 18.10.1918 im Lazarett Schweinfurt), Viktor Greßer, Michael Nürnberger
Mittlere Reihe: Albert Gehrling, Albin Herrmann (gef. am 15.7.1918 in Frankreich), Leonhard Nätscher, Michael Herrmann, August Herrmann
Vordere Reihe: Stephan Stolz, Karl Schuhmann (gestorben am 23.10.1918 im Lazarett Schweinfurt).
Gruß aus dem Felde (Feldpostkarte)
Gruß aus dem Felde (Feldpostkarte)

Diese Feldpostkarte schrieb Bernhard Siegler als Gruß aus dem Feld am 4.10.1916 aus Peronne an der Somme in Frankreich. Er bedankte sich bei seiner Mutter „für das Paket, auf das ich schon lange wartete und mit Freuden erhalten habe“. Weiter schreibt er: „Sonst geht es mir gut, hoffentlich seid Ihr auch noch alle gesund und munter“. Er schließt mit dem Wunsch „Auf ein gesundes Wiedersehen“ und der Bitte um einen Gruß an seinen Bruder Magnus.

Franz Loschert fiel am 3. Oktober 1918, nur 5 Wochen vor Kriegsende. Exakt 100 Jahre später besucht sein Urgroßenkel als erster aus der Familie sein Grab auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Vouziers, 75 Kilometer nordwestlich von Verdun.

Grab von Franz Loschert
Grab von Franz Loschert

Wie den Informationen auf der Webseite des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge Zu entnehmen ist, „Verstarb die Mehrzahl der dort begrabenen Soldaten an den erlittenen Verwundungen in den Lazaretten während der heftigen Gefechte und Schlachten der Jahre 1915 - 1917 um die Hügelkette, die sich von Reims nach Osten erstrecktund wie ein natürlicher Festungswall wirkte. Auch die Abwehr- und Rückzugskämpfe im Herbst 1918 forderten erneut zahlreiche Opfer.“

In den Kriegsranglisten und Kriegsstammrollen des Königreichs Bayern wurde über die Einsatz- und Ruhezeiten der Soldaten im 1. Weltkrieg genau Buch geführt. Franz Loschert war demnach als Soldat im 5. Bayerischen Infanterieregiment bei folgenden Einsätzen registriert:

9.3. - 28.8.17 Schlacht in Flandern
9.11.17 - 9.3.18 Kämpfe zwischen Maas und Mosel
9.3.18 - 31.3.18 Stellungskämpfe in Lothringen
6.4. - 29.4.18 Schlacht um den Kemmel (Flandern)
30.4. - 3.5.18 Stellungskrieg in Flandern
4.5. - 12.6.18 Ruhe hinter 4. Armee
13.6. - 12.7.18 Stellungskrieg in Flandern
13.7. - 14.8.18 Ruhe hinter 4. Armee
17.8. - 1.9.18 Schlacht an der Somme
2.9. - 26.9.18 Ruhe hinter 4. Armee
28.9. - 29.9.18 Abwehrschlacht in der Champagne und an der Maas

Weiter ist in den Kriegsstammrolle vermerkt: „Am 29.9.1918. bei ... (unleserlich) verwundet: Auf Mitteilung des Königl. Bay. 5. Infanterieregiments am 3.10.18 im Feldiazarett Nr. 362 gestorben.“

Info:
Auf der Webseite www.ancestry.de kann man nach kostenloser Registrierung die Kriegsranglisten und Kriegsstammrollen des Königreichs Bayern des 1. Weltkriegs einsehen. Nach der Eingabe der Personalien sind neben den Kriegseinsätzen u.a. die Namen der Eltern, der Wohnort, der Dienstgrad, der Beruf und Auszeichnungen des Soldaten aufgeführt.

Sterbebild von Georg Herrmann
Sterbebild von Georg Herrmann

Ein typisches Sterbebild der damaligen Zeit von Georg Hofmann, dessen sinnloses Sterben im Alter von 20 Jahren als „Heldentod fürs Vaterland“ glorifiziert wurde.

Gefallene Soldaten des 1. Weltkrieges aus Steinfeld

Nr Name Vorname Todestag Sterbeort Friedhof (so weit bekannt) Infos v.
Volksbund
Alter
1 Beld Johann 18.10.1918 Lazarett Schweinfurt 20
2 Eck Josef 01.08.1918 Ypern Belgien 37
3 Eirich Franz 28.08.1916 33
4 Haas Georg 30.09.1914 Frankreich Fricourt, F + 31
5 Haas Emil 27.12.1916 Rumänien Braila, Ro + 19
6 Haas Valentin 31.10.1914 Soissons, Frankreich 27
7 Haas Dr. Josef 12.09.1918 35
8 Handel Bernhard 20.11.1914 24
9 Heim Leonhard 30.03.1918 27
10 Herrmann Andreas 03.05.1915 Galizien, Ukraine 31
11 Herrmann Georg 21.07.1915 Vogesen, Frankreich Thiaucourt jeville, F + 20
12 Herrmann Pius 18.09.1916 Somme, Frankreich Montdidier, F + 26
13 Herrmann Adam 11.11.1916 Russland 32
14 Herrmann Johann Michael 17.06.1917 Frankreich 27
15 Herrmann Bernhard 08.11.1917 Flandern, Belgien 20
16 Herrmann Albin 15.07.1918 Frankreich + 20
17 Herrmann Anton 14.09.1918 31
18 Herrmann Dominik Kornel 07.09.1914 21
19 Hofmann Philipp 04.06.1915 Ypern, Belgien Menem, B + 24
20 Klüpfel Konrad 18.10.1915 Frankreich Lens-Sallaumines, F + 22
21 Klüpfel Valentin 16.07.1916 Verdun Frankreich 20
22 Loschert Franz 03.10.1918 Ardennen, Ardenen Vouziers, F + 22
23 Ludwig Johann 18.08.1916 Maurepas, Frankreich Rancourt Somme F + 20
24 Ludwig Bernhard 29.09.1915 Marne, Frankreich Souain, F + 33
25 Scheiner Franz Wilhelm 05.10.1914 Frankreich 27
26 Scheiner Leo 27.09.1914 Somme, Frankreich Vermandovillers, F + 23
27 Scheiner Philipp 25.05.1915 Ungarn 29
28 Scheiner Johann Georg 25.11.1917 Königsberg, Ostpreußen 37
29 Scheiner Valentin 27.09.1914 37
30 Schmitt Johann 13.08.1915 42
31 Schuhmann Josef 27.08.1914 Frankreich Gerbéviller, F + 29
32 Schuhmann Vinzenz 06.09.1914 Frankreich 28
33 Schuhmann Bernhard 12.11.1914 Arras, Frankreich St.-Laurent-Blangy, F + 26
34 Schuhmann Josef Philipp 15.04.1916 Flandern, Belgien Meurchin, F + 22
35 Schuhmann Josef 16.10.1918 42
36 Schuhmann Michael 19.08.1917 Rumänien Cirlibaba, Ro + 20
37 Schuhmann Karl 23.10.1918 Lazarett Schweinfurt 20
38 Schuhmann Georg 08.12.1918 Lazarett Münnerstadt 33
39 Seubert Josef Cornel 08.02.1915 Graudenz, Polen 28
40 Seufert Franz 20.02.1915 20
41 Seufert Georg 19.08.1917 Rumänien 20
42 Seufert Philipp 08.06.1916 Maas, Frankreich Hautecourt-lès-Broville, F + 27
43 Seufert Ottmar 11.12.1917 Mazedonien Prilep, Mazedonien + 32
44 Siegler Johann Dr. 24.02.1917 Lazarett München 36
45 Stamm Michael 26.08.1914 Frankreich Morhange, F + 28
46 Stamm August 31.08.1916 Frankreich Champs, F + 32
47 Stegerwald Franz Josef 23.03.1915 Frankreich Ques-sur-Deûle, F + 23
48 Strobel Josef 08.11.1917 37